"Die getauften Meyers"

Otto Meyer und die "Bonner Fahnenfabrik" im Nationalsozialismus

"Not und Elend sind das Erbe des Nationalsozialismus. Aber ohne Trümmer und Zerstörung keine Freiheit, ohne die furchtbaren Opfer kein menschenwürdiges Dasein, nicht nur für uns, sondern für alle, die guten Willens sind."

So zieht Otto Meyer 1946 Bilanz: In seinen Lebenserinnerungen1 berichtet er über seine Erfahrungen im "Dritten Reich", und sein Resümee klingt keineswegs bitter oder resignierend, obwohl er selbst, seine Familie und Freunde unter dem NS-Regime schwer leiden mussten. Denn bei allem Verfolgungsdruck erfuhr Otto Meyer auch unerwartete Hilfe und Unterstützung, die ihm schließlich das Leben retteten. Und so gibt diese biographische Skizze nicht nur einen Einblick in das, was den "jüdischen Mischlingen" während der NS-Zeit angetan wurde, sondern sie handelt auch von Menschen, die unter Gefahr wie selbstverständlich halfen.

Otto Meyer wurde am 18. September 1895 in Bonn geboren, und es stand früh fest, dass er später einmal - genauso wie einst sein Vater und dessen Bruder Cäsar - die Bonner Fahnenfabrik, die schon seit zwei Generationen in Familienbesitz war, übernehmen sollte. Zunächst absolvierte er jedoch den Militärdienst, meldete sich als Freiwilliger im Ersten Weltkrieg und beendete sein Jurastudium mit der Promotion. Anschließend wurde ihm die kaufmännische Leitung der Firma übertragen.

Während der Weimarer Zeit expandierte die Firma. 1928 bezog man in der Rheindorferstr. 224 das neue Fabrikgebäude - eine ehemalige Kaserne. 1929 gründete Ottos Bruder Hans in Italien eine Zweigstelle der Firma, die "Fabbrica Italiana Bandiere". Trotz Wirtschaftskrise war der Bonner Betrieb auf dem Weg, die "größte Fahnenfabrik Deutschlands" zu werden, wie es der Werbespruch auf einer Preisliste verkündete. Allerdings erlebte die Firma auch kritische Phasen: Nachdem der Textilarbeiterverband 1928 harte Kritik an Arbeitsbedingungen und Lohnhöhe geübt hatte, wurde der Betrieb bestreikt und musste sogar vorübergehend schließen. Otto Meyers Verhandlungsgeschick hatte nicht ausgereicht, den Arbeitskampf zu verhindern.2 1932 starb der Seniorchef der Firma, Rudolf Meyer. Die Söhne Otto und Hans Meyer übernahmen nun die gesamte Firmenleitung.

Die Bonner Fahnenfabrik hatte nicht zuletzt auch immer wegen der Staatsaufträge floriert, insbesondere in Kriegszeiten. Die Firmenchronik von 1956 stellt hierzu fest: " Mit dem Kriegsbeginn 1914 sind natürlich Fahnen und Flaggen sehr begehrt. Aber Zeltbahnen und Strohsäcke sind auf den dringenden Wunsch der Heeresverwaltung ebenso gut auf den Fahnennähmaschinen noch zusätzlich herzustellen." Weiter unten im Text heißt es: "Kriegsbedingte (2. Weltkrieg H.B.) Aufträge der Kriegsmarine und Heeresverwaltung für Kriegs-, Signal- und sehr verschiedenartige Sonderflaggen sichern die Weiterführung der Produktion."3

Bonner Fahnenfabrik

Vor dem Hintergrund der Familiengeschichte der Meyers mutet diese letzte Feststellung befremdlich an, denn sie galten nach den Nürnberger Gesetzen von 1935 als Juden und gehörten als solche zu jener Personengruppe, deren Vernichtung durch eben diesen Krieg erst möglich wurde. Der jüdischen Glaubensgemeinschaft gehörten sie zwar nicht mehr an; Otto und sein Bruder Hans waren schon früh - Otto bereits 1906 - evangelisch getauft worden. Die Mutter gehörte seit dem Tode ihres Mannes keiner Glaubensgemeinschaft mehr an. Dennoch blieben sie nach NS-Auffassung "rassische Juden".

Otto Meyer blieb zunächst von Repressionen verschont. Weder wurde gegen ihn - wie gegen andere Juden - schon vor 1933 polemisiert, noch kam es in den ersten Jahren nach der "Machtergreifung" zu Boykottmaßnahmen oder antisemitischer Hetze gegen seine Firma.

Das änderte sich im Januar 1936: Damals erschien im "Westdeutschen Beobachter" und im "Stürmer" ein Artikel mit der Überschrift: "Die getauften Meyers". In typischer NS-Manier wandte sich der Autor gegen die Auffassung des Syndikus des Verbandes Bonner Einzelhändler, die Inhaber der Fahnenfabrik stammten aus einer christlichen Familie, da sie christlich getauft seien. Das Fazit des Artikels: "Die Inhaber der Bonner Fahnenfabrik sind Juden. Das Taufwasser hat ihre Rasse und ihr Blut nicht geändert. Sie sind Juden und müssen als solche behandelt werden."4

Westdeutscher Beobachter Januar 1936Wahrscheinlich wurde der Artikel auch vom Reichsschatzmeister der NSDAP gelesen, denn dieser erstattete wenig später beim Oberstaatsanwalt beim Sondergericht Köln Anzeige gegen Otto Meyer mit der Begründung, die Bonner Fahnenfabrik stelle amtliche Fahnen, also auch Fahnen und Symbole des "Dritten Reichs" her und vertreibe sie auch. Ein jüdischer Betrieb dürfe dies nicht, da laut § 4 Absatz 1 des Gesetzes zum Schutz des deutschen Blutes und der deutschen Ehre das Hissen der Reichs- und Nationalflagge bzw. das Zeigen der Reichsfarben von Juden verboten sei. Analog hierzu, so die Argumentation, müsse natürlich auch das Herstellen und der Vertrieb dieser Staatssymbole strafbar sein. Und weiter wurde argumentiert: "Es ist ein höchst unerfreulicher Zustand und mit dem Ansehen der NSDAP und des nationalsozialistischen Staates unvereinbar, wenn ausgerechnet jüdische Firmen mit den Symbolen des Nationalsozialismus Geschäfte machen."5

Die Ermittlungen wurden aufgenommen, Kontrollen durchgeführt, und tatsächlich fand man Hakenkreuzfahnen, DAF-Fahnen, Wimpel. Auch in Preisverzeichnissen wurde mit Schaubildern für ihren Vertrieb geworben.

Otto Meyer wurde vorgeladen und verhört. Er konnte nachweisen, dass er sich an die Vorschriften gehalten hatte und keine Tragfahnen, sondern nur Haus- und Dekorfahnen vertrieben hatte, dies auch nur bis zum April 1936, als auch dieses den jüdischen Betrieben verboten wurde. Das Verfahren vor dem Sondergericht Köln wurde daraufhin eingestellt, wahrscheinlich wohl auch deshalb, weil inzwischen die Firma den Besitzer gewechselt und so "arisiert" worden war. Der Familie Meyer war es gelungen, die Firma auf Meyers Schwiegervater Wilhelm Hollweg zu übertragen. Die Verträge bestimmten, dass im Falle seines Todes die Firma den beiden Ehefrauen der Brüder Meyer übertragen würde. So konnte die Firma als Familienbesitz gesichert werden.

Otto Meyer wurde in den folgenden Jahren weiterhin als Jude behandelt; er bekam einen "Judenpass", musste den Vornamen "Israel" tragen, hatte eine Judenvermögensabgabe zu leisten. Nur das Leben in der "Mischehe" mit seiner "arischen" Frau schützte ihn vor noch drastischerer Verfolgung, wie sie den anderen Juden in Bonn 1941/42 widerfuhr. Diese hatten sich ab Juni 1941 im beschlagnahmten Endenicher Kloster "Zur Ewigen Anbetung" einzufinden und wurden im Verlauf des Jahres 1942 in die Vernichtungslager deportiert.

Otto Meyers Nur ganz wenige "ungeschützte Volljuden" brauchten 1941 nicht in das Endenicher Kloster umzuziehen. Zu ihnen gehörte Frau Anna Meyer, Ottos Mutter. Zwar hatte auch sie ab 1. September 1941 den "Judenstern" zu tragen, musste auch sie Gold- und Silberbesitz abgeben und ihren Aktienbesitz gegen Zwangskurse einwechseln, aber sie brauchte, wahrscheinlich wegen ihres angegriffenen Gesundheitszustandes, nicht ins Internierungslager "Endenicher Kloster" umzusiedeln. Ein solcher Schritt musste besonders den älteren Juden sehr schwer fallen, bedeutete die Internierung doch eine weitere Steigerung der Repression und erhöhte die Ungewissheit in bezug auf die Zukunft. Sie mussten die Atmosphäre des privaten Heimes verlassen und sich einer ungewohnten, reglementierten Lagergemeinschaft anpassen. Die psychischen Belastungen führten bei einigen schon vor der Internierung zum plötzlichen Tod. Andere wählten bewusst den "Ausweg" des Freitodes, wie z.B. der Mathematikprofessor Felix Hausdorff. Anna Meyer zog dieselbe Konsequenz. Als sie am Tage nach ihrem 70. Geburtstag den Deportationsbefehl von der Gestapo erhielt, nahm sie sich mit einem Schlafmittel das Leben. Um keine weiteren Schwierigkeiten zu bekommen, beschloss man, den Selbstmord nicht offiziell zu melden. Der herbeigerufene Arzt spielte mit.

Durch ihren Selbstmord entzog sich Anna Meyer dem Schicksal ihrer Geschwister. Eine ihrer Schwestern kam in einem polnischen Konzentrationslager ums Leben. Eine weitere Schwester überlebte zwar das Ghetto Theresienstadt, starb aber kurz darauf an Fleckfieber.

Otto Meyer, der promovierte Jurist, einstiger Miteigentümer und kaufmännischer Leiter der weltbekannten Fahnenfabrik, war seit Kriegsbeginn immer stärkeren Repressionen ausgesetzt. Seit 1939 ohne Arbeit, wurde er 1943 vom Arbeitsamt zwangsverpflichtet und bei der städtischen Müllabfuhr eingesetzt. Hier musste er aus dem Abfall der Stadt Altpapier und Blechdosen herauszusuchen.6 Die Photos aus jener Zeit belegen seinen Arbeitseinsatz, aber sie täuschen den Betrachter über seine Härte hinweg: Der freundlich lächelnde Otto Meyer hatte schwere, insbesondere aber ungesunde Arbeit zu verrichten. Meyer schreibt in seinen Erinnerungen hierzu: "Diese Tätigkeit war äußerst ungesund und sollte zu Erkrankungen führen. Nachdem ich von Mai 1943 bis April 1944 dort gearbeitet hatte, trat die Erkrankung in Form einer Lungenentzündung ein, der sich eine Herzmuskelschädigung anschloss, so dass ich von April bis September 1944 erkrankt war."7

Otto Meyer und Prof. NussbaumIm September 1944 wurde nunmehr die letzte Phase der NS-Judenverfolgung eingeleitet. Während die deutschen Städte allmählich in Schutt und Asche gebombt wurden, während die Bevölkerung in Not und Chaos leben musste, arbeitete die Gestapo-Bürokratie zielstrebig weiter. Die Verfolgung richtete sich jetzt auch gegen die noch in "Mischehen" lebenden Juden und Personen, deren Großeltern Juden waren ("Mischlinge I. Grades"). In Bonn begann diese Aktion am 12. September. Die in einer "Mischehe" lebenden Ehepartner, deren Kinder und die sog. "Halbjuden" - in Bonn ein Personenkreis von etwa 300 Personen - hatten sich auf Vorladung entweder an diesem Tag oder eine Woche später im Gestapogebäude im Kreuzbergweg einzufinden. Von dort wurden die Transporte zusammengestellt mit dem Ziel Müngersdorfer Lager in Köln. Anfang Oktober wurden sie von hier aus zum Arbeitseinsatz in den Raum Kassel/Leipzig verbracht; der "arische" Ehepartner hatte den Gau Köln/Aachen zu verlassen.

Nicht wenige der zur Zwangsarbeit verpflichteten Juden wurden später noch in Konzentrationslager deportiert; mindestens sieben dieser verschleppten Bonner sind dort umgekommen. Viele jedoch nutzten die zunehmend chaotische Kriegssituation zur Flucht. Für sie wurden die Monate zwischen Oktober 1944 und März/Mai 1945 die Zeit der Illegalität mit all ihren Konsequenzen für Versorgung und Unterkunft. Kellerräume, Dachböden, Hütten oder wie in einem Falle ein kleiner Erdbunker am Venusberg wurden jetzt Zufluchtsorte im heraufziehenden Winter, den es ohne Lebensmittelkarten zu überstehen galt. Aber es war nicht nur die Zeit des illegalen Lebens, sondern auch des - vielfach anonymen - Helfens.

Auch Otto Meyer bekam am 12. September die Vorladung, sich bei der Bonner Gestapo zu melden. Auch er stand vor der Frage, sich zu melden oder in die Illegalität zu gehen. Auf Rat von Familie und Freunden entschloss er sich für den letzteren Weg. Er versteckte sich zunächst im Haus der Eltern, dann bei einer Bekannten in Bad Godesberg. Am 16. Oktober fasste er jedoch den Entschluss, sich der Gestapo zu stellen, in der Hoffnung den anderen Leidensgenossen folgen zu können: Ich "wurde sofort festgehalten und in eine der Haftzellen eingesperrt, die tief unten in den Kellern waren. ... Dann kam ich in eine größere Zelle, in der sich ausländische Arbeiter aller Nationen befanden: Italiener, Franzosen, Holländer, Belgier, Russen, Polen, ja selbst Türken und Indochinesen und nur wenige Deutsche. Die Zelle war so eng, dass wir auf einer breiten Holzpritsche kaum liegen konnten; zwei Eimer waren aufgestellt, die fast nie geleert wurde. Drei Tage lang bekam ich kein Essen, dafür war Ungeziefer in reichlichem Maße vorhanden".8

Tagsüber musste Otto Meyer in der Markthalle Kartoffelsäcke schleppen. Als dann nach zehn Tagen die Gestapozelle wegen Überfüllung geschlossen wurde, wurde er ins bewachte Barackenlager an der Kölnstraße gebracht. Jetzt musste er im zerstörten Bonn Aufräumungsarbeiten erledigen.

Zwangsarbeit bei der städtischen MüllabfuhrOtto Meyers Schicksal wäre wohl besiegelt gewesen, hätten nicht seine Familie, langjährige Freunde, Bekannte, selbst Verfolgte und einfach selbstlos Handelnde ihm geholfen. Zuallererst ist dabei seine Frau zu nennen, die - was keineswegs selbstverständlich war - als "Arierin" zu ihrem Mann hielt und ihn unterstützte, wo sie konnte.

Nicht alle "arischen" Ehepartner hatten damals die Kraft, dem Druck von Staat und Partei auf Scheidung nicht nachzugeben. Aber da gab es auch die langjährige Hausgehilfin Käthe Böhm, die "immer die Verbindung mit mir aufrechterhalten (hat); sie brachte mir zusätzliche Lebensmittel, die bei der schlechten Gefangenenkost wesentlich waren".9

Dann gab es den langjährigen Jugendfreund Paul Ahl, den Eigentümer der Kaiserapotheke Hans Rosskath, den Otto Meyer gar nicht näher kannte, und Dr. Plate. Die drei Männer organisierten später Otto Meyers Flucht. Da gab es aber auch den Kriminalbeamten, der eine Hausdurchsuchung verhinderte, wohl wissend, dass Otto Meyer sich im Hause versteckt hielt. Noch viele weitere Namen erwähnt Otto Meyer in seinen Lebenserinnerungen. Über weite Passagen seines Berichts erscheint es so, als wenn viele Bonner Bürger zumindest in diesen letzten Monaten des "Dritten Reichs" eine solidarische, gegen die Gestapo-Herrschaft gerichtete Gesellschaft gebildet hätten.

Meyer wurde in jener Zeit jeden Tag an verschiedenen Stellen zu Aufräumungsarbeiten eingesetzt. So kam er eines Tages auch auf den Kaiserplatz, wo sich ihm die Gelegenheit bot, mit dem Apothekenbesitzer Rosskath ins Gespräch zu kommen. Dieser hatte Kontakte zur Gestapo und war bereit, sich erkundigen, was mit Meyer geschehen sollte. Einige Zeit später erfuhr Rosskath, dass die Gestapo plante, Meyer in ein Konzentrationslager einzuweisen, um ihn auf dem Weg dorthin zu ermorden. Die Freunde bereiteten die Flucht vor: "Ich werde die Tage nie vergessen, in denen die Gewissheit des Endes vor meinem Auge stand, wenn sich nicht Gelegenheit und Gelingen der Flucht verwirklichten. Montag, den 27. November mittags 1/2 2 Uhr - ich arbeitete an einer der belebtesten Stellen der Stadt - kam Käthe mit der Nachricht, dass um 1/2 3 Uhr an der nächsten Ecke ein Auto stehen würde, mit dem ich fliehen sollte. Ich fand eine Ausrede und begab mich zu der vorgesehenen Zeit zu dem Auto, in welchem ein mir unbekannter Unteroffizier der Luftwaffe am Steuer saß. In rasender Fahrt ging es zu unbekanntem Ziel, die Kölnstraße hinunter, dann außerhalb von Bonn kurz vor dem Nordfriedhof einen schmalen Weg hinein; dort wurde ich vor einem alleinstehenden Haus von einem alten Mann empfangen, der mich mit den Worten "Guten Tag, Herr Hermans, das sind Sie doch" anredete."10

Aber auch hier konnte er bald nicht mehr bleiben. Vom 21. Dezember 1944 bis zum 5. Februar 1945 folgte nunmehr eine Zeit des Herumwanderns und Herumirrens, des Suchens nach Schutz und Obdach. Wieder waren es Freunde, die ihm weiterhalfen. Bei einer Frau Dahlem erlebte Meyer die schweren Luftangriffe vom Dezember 1944, den schlimmsten am 28. Dezember: "Etwa 6 schwere Luftminen und Sprengbomben kamen in nächster Nähe des Hauses herunter, die Türen im Keller flogen herein, die Menschen lagen betend auf den Knien. Ich hatte Gift, das ich immer in diesen Zeiten bei mir geführt habe, in der Hand, um wenn eine Rettung unmöglich war, davon Gebrauch zu machen. Als wir, über die Trümmer der Kellertreppe steigend, die Straße betraten, waren die Häuser fast völlig verschwunden."11

Otto Meyer litt unter dem Leben in Notunterkünften, der winterlichen Kälte, der Angst vor den alliierten Bombenangriffen, besonders aber der Furcht, kontrolliert und erkannt zu werden. Schließlich fasste er den Plan, zu Verwandten von Frau Dahlem nach Adenau in die Eifel zu fahren. Am 4. Februar glückte die Flucht aus Bonn. In einem kleinen Wochenendhaus konnte Meyer dann den Einmarsch der Amerikaner und damit die Befreiung abwarten.

Otto Meyer überlebte. Er kehrte nach Bonn zurück und nahm seine Tätigkeit in der Fahnenfabrik wieder auf. Im Mai 1945 wurde er von den Alliierten in den zwölfköpfigen Bürgerrat berufen, der die Stadtverwaltung in wichtigen Fragen beriet und unterstützte. Später war Meyer bis 1952 Stadtverordneter der CDU. Als er sein Mandat niederlegte, wurde gemutmaßt, er habe es aus gesundheitlichen Gründen getan. Vielleicht war es ihm bewusst, dass es nicht mehr lange zu leben hatte, und so initiierte er 1956 zum doch ungewöhnlichen Datum des 90-jährigen Bestehens seiner Firma ein Jubiläumsfest. Eine größere Festschrift wurde erstellt, in der über die Geschichte der Firma in der NS-Zeit kaum etwas zu lesen ist. - Nicht nur die Täter verdrängten ihre Schuld, sondern auch die Opfer ihre Leiden. Nach schwerer Krankheit starb Otto Meyer am 28. September 1957 im Alter von 62 Jahren.

Horst-Pierre Bothien

 

 

Anmerkungen:

  1. Otto Meyer: Meine Erlebnisse in den Jahren 1933-1945. Handschriftl. Manuskript, Bonn 1946. Von der Tochter Otto Meyers, Frau Hebermehl freundlicherweise zur Verfügung gestellt.
  2. vgl. "Rheinische Zeitung" v. 11.2., 21.3., und 30.3.1928
  3. Fahnen wehen in aller Welt. Firmengeschichte zum 90-jährigen Bestehen der Bonner Fahnenfabrik. Bonn 1956, S. 22 u. 47.
  4. Hauptstaatsarchiv Düsseldorf Ger. 112/9926
  5. ebd.
  6. Der Oberbürgermeister am 24.9.1943 dazu: "In der Zwischenzeit sind mit dem Aussortieren 7 jüdische Arbeitskräfte, die mit arischen Frauen verheiratet sind, eingesetzt worden, die unter ständiger Aufsicht arbeiten müssen, wodurch sich im Jahre 1943 das Ergebnis, wie erkennbar, ganz wesentlich gesteigert hat." Stadtarchiv Bonn Pr 30/365
  7. Meyer, Erlebnisse, a.a.O.
  8. ebd.
  9. ebd.
  10. ebd.
  11. ebd.

Photonachweis: Die Photos stammen aus dem Privatbesitz der Familie Hebermehl, Bonn.